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Bildungs-Investment und sozialdemokratische Aufklärung (Der Untergang des Abendlandes in Anekdoten, Folge 4)

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Zwei Anekdoten zur Lage der allgemeinen kulturellen Hegemonie. Szenerie 1: ein besonders von Studenten und akademischem Personal frequentiertes Café nahe der Wiener Universität. Die Tische stehen recht eng beieinander, sodaß ich nicht umhinkam, das Gespräch meiner beiden Tischnachbarn mitzuhören, zumal der Wortführer mit ziemlich lauter Stimme sprach.

Er fiel mir auf, weil er optisch einen sympathischen und eher „konservativen“, ja „neofolk“-artigen Eindruck machte: ein rotblonder, schon leicht ergrauender und tendenziell ins kräftig-korpulente gehender Wikinger mit einem Henriquatre-Bärtchen und einem dröhnenden, jovialen Lachen, dabei ganz in elegantes Schwarz gekleidet, mit einer altmodischen Weste über dem Hemd, in der eine goldene Taschenuhr an einem Kettchen steckte. Seinen Kragen zierte ein schmuck aussehender walisischer Drache in Silber.

Seine Gegenüber war ein grauhaariger Herr jenseits der Fünfzig. Beide waren offenbar Akademiker und berieten über die Lage ihrer Zunft.  Stückweise drangen die Satzfetzen der feierlich vorgetragenen Ansprache des Wikingers zu mir herüber. Etwa so:

„Das Problem der heutigen Kulturvermittlung ist, daß man als Adressat ein Bildungsbürgertum von anno Metternich vor Augen hat, das es einfach nicht mehr gibt. In rudimentären Resten vielleicht noch, aber das ist nicht mehr relevant für die Gesellschaft… unsere ganze Bildungs-, Ausstellungs- und Museumspolitik muß sich den Bedürfnissen der Zeit anpassen. Wir dürfen den Leuten nicht zuviel zumuten, wir müssen sie da abholen, wo sie stehen.“  Meine Ohren wurden immer größer, und ebenso wuchs mein Aberwille.

„Vor allem dürfen wir nicht auf dem hohen Roß sitzen bleiben und von oben herab dozieren, das schreckt sie nur ab. Psychologische Studien zeigen außerdem, daß das, ähm, ‚investment‘“-  bei dieser Vokabel zuckte ich zusammen – „das die Leute leisten, stärker ist,wenn sie sich mehr selbst in die Sache einbringen, mit ihr spielen können. Diese Chance müssen wir ihnen bieten. So, wie das jetzt läuft, haben wir keine gesellschaftliche Relevanz mehr…“ Etwa an diesem Punkt platzten die sich aufstauenden Einwände aus mir heraus. Es kam wie von selbst, da mir der Redner fast gegenüber saß.

„Aber das würde doch zur Folge haben, daß die Bildungsgüter nivelliert und trivialisiert werden! Der allgemeine Bildungsstand ist doch ohnehin schon unter aller Kanone, warum ihn denn jetzt noch weiter hinunterdrücken?“ Heftiges Kopfschütteln und Verneinung der beiden. „Und warum sollen die Wissenschaften und Künste überhaupt ‚gesellschaftliche Relevanz‘ haben, warum können sie nicht einfach Wissenschaft betreiben? So prostituiert man sich doch bloß an den Zeitgeist!“ (Da muß ich wohl einen Dávila-Satz im Hinterkopf gehabt haben, den ich glücklicherweise nicht zitiert habe: „Ein ‚nützliches Glied der Gesellschaft sein‘ ist der Ehrgeiz – oder die Entschuldigung – einer Prostituierten.“)

Der Wikinger zeigte sich von meinem Einspruch völlig ungerührt. „Na, ist doch ganz einfach, wenn wir keine gesellschaftliche Relevanz mehr haben, dann kriegen wir kein Geld mehr. Dann braucht und bezahlt uns leider niemand mehr.“ (dröhnendes Harhar-Gelächter) – „Aber sollten nicht gerade die Wissenschaften und Künste frei sein vom Druck des Marktes und Bereiche jenseits der Ökonomie bestellen?“ – „Theoretisch ja – aber des spielt’s leider nimmer.“

Dazu fiel mir auch nix mehr ein: das war eine Variation der alten Weisheit „Ohne Geld ka Musi!“, und wenn man schon zur Kapitulation gezwungen ist, kann man sie sich wenigstens noch schönreden und ihr den Anschein der Freiwilligkeit verleihen.


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